Archiv der Kategorie: Essays

Schreibarbeit: Präzision der Sprache als Forschungsfeld der Literatur

In den Natur- und Technikwissenschaften werden Experimente aufgestellt, Gleichungssysteme analysiert und Theorien formuliert. Ergänzend dazu soll in der Veranstaltung „Schreibarbeit“ der Präzision einer literarischen Textanlage, ihrer Wortwahl und Evidenz nachgegangen werden.
Mit einem literarisch verfassten Text unterwerfen wir uns ebenfalls einer Versuchsanordnung und wir erforschen, was sich aus der spezifischen Anordnung seiner Teile in der Durchführung des Textganzen ergibt. Diese Form der Schreibarbeit führt von der Frage: Was will ich schreiben? zur Frage: Was schreibe ich?
Wie unterscheiden sich solche Vorgehensweisen der Literatur vom Sprachgebrauch der Naturwissenschaften? Schreibarbeit: Präzision der Sprache als Forschungsfeld der Literatur weiterlesen

Schnee von heute

© Basler Zeitung|24.02.2010|Seite: bazab43
Schnee von heute
Friederike Kretzen*

Die Schweizer Schriftstellerin und bildende Künstlerin Erica Pedrettiwurde am 25. Februar 1930 in Tschechien geboren. Sie kam 1945 in die Schweiz, ins Land ihrer Grossmutter. Die Basler Schriftstellerin Friederike Kretzen schickt ihrer Kollegin einen Geburtstagsgruss, beschwingt, beflügelt von zwei Sätzen aus dem Werk der Erica Pedretti.

„Es schneit in Plouda“: So hebt es in Erica Pedrettis erstem Buch „Harmloses, bitte“ an, woraufhin sich auch schon einige Sätze weiter und vor unseren Augen das Schneien samt Plouda in diesen unwägbaren Schnee von gestern, vorvorgestern oder übermorgen verwandelt, unter dem sich jede Fassbarkeit auflöst, bis es schliesslich heisst: „… vielleicht gibt es gar keinen Ort Plouda. (…) Ist das wirklich Blauda?“ Schnee von heute weiterlesen

Heimweh des Gestrichenen – Gestrichenes Heimweh

1.
Liesse sich mit dem Gestrichenen anfangen? Wie? Wäre das ein gestrichener Anfang? Oder ein Anfang, der jede Anfänglichkeit streicht?

Was würde es für unsere Fragestellung heissen, wenn Gestrichenes und Nicht-Gestrichenes zunächst und als Anfang in eins fielen? Wenn sie sozusagen aus dem selben Bett gestiegen wären, das dann weder im einen noch im anderen mehr auftauchte?

Das gemeinsame Bett von Gestrichenem und Ungestrichenem wäre ein guter Anfang. Die Frage ist nur, wie kann die Sprache darauf kommen? Also auf das, was weder zu streichen, noch nicht zu streichen ist, auf das Unstreichbare der Sprache selbst. Ihm ist nicht mit Ja, nicht mit Nein, nicht mit Sprache und ohne Sprache auch nicht zu begegnen.
Das Unstreichbare steht vielleicht an jedem Anfang, nur können wir mit ihm nicht anfangen, es ist ja schon da. Ungestrichen und klar.
Heimweh des Gestrichenen – Gestrichenes Heimweh weiterlesen

Räume von hier und da.

Sobald etwas eintritt, und sei es ein Stimmungsumschwung, ein Gedanke oder ein Textanfang, haben wir einen Raum, in den etwas eintritt und einen anderen Raum, von wo etwas kommt. Selbst wenn etwas aus dem Nichts hereinschneit oder vom Himmel fällt. Dann schneit es aus dem Nichts und fällt vom Himmel. Sollten wir das, von wo etwas herkommt, was dann hier reinschneit oder einfällt, als Aussenraum im Unterschied zu einem Innenraum bezeichnen wollen, so könnten wir auch sagen: Die Erde ist der Innenraum des Himmels. Oder das Nichts ist der Aussenraum der Erde. Was allerdings nichts an der Tatsache ändert, dass das Eingetretene, während es uns hier Gesellschaft leistet, nun woanders fehlt. Und wer weiss, ob sein Fehlen dort nicht beweint wird. Räume von hier und da. weiterlesen

Was ist schweizerisch?

Lange Zeit habe ich ohne jeden Begriff oder Vorstellung, was die Schweiz und das Schweizerische wären, verbracht. Ich fuhr auch nicht hin, sondern nach Indien. Das änderte sich erst am Ende des Studiums, als ich mit zwei Freunden eine kurz entschlossene Reise nach Italien unternahm. Und diesmal fuhren wir durch die Schweiz. Einer meiner Freunde kannte einen Musiker in Luzern und wir dachten, dass wäre doch eine prima Idee, bei ihm zu übernachten. Wo genau er wohnte, wussten wir nicht. Wir fuhren erst mal hin. Als wir am späten Abend in Luzern ankamen, gingen wir zielstrebig in ein Kellerlokal, wo wir denn gleich auf den Musiker trafen, und wir konnten auch bei ihm in der Wohngemeinschaft übernachten. Am Morgen, wir wollten früh weiter, sassen wir in der Küche, tranken Kaffee, als die Türe aufging und eine junge, nackte Frau eintrat. Was ist schweizerisch? weiterlesen

Vorwort zu A.K. Ulrich Schriftkindheiten, Zürich 2002

„Jedes kleine Spiel hilft.“

1″… jenes Sich-Verhüllen im Buchstabenschnee“

Je näher wir ein Wort anschauen, um so ferner schaut es zurück, sagt Karl Kraus.

Kindheit

Können Sie es sehen? Können Sie Kinder sehen in der Kindheit? Ist Kindheit eine weite Landschaft von Gefühlen? Grossen und kleinen Gefühlen? Und haben Gefühle eine Geschichte? Ist diese Geschichte vielleicht die weite Landschaft, die im Wort Kindheit steckt? Wer oder was steckt also in dem Wort Kindheit? Vorwort zu A.K. Ulrich Schriftkindheiten, Zürich 2002 weiterlesen

Vom Ende der Welt her, von der Kindheit aus. / Schritte ins Offene, Kindheit heft 6/2004

Friederike Kretzen

Nah und fassbar war mir als Kind die Vorstellung vom Ende der Welt. Was ich allerdings nicht mehr weiss, ist, wann und wie diese Vorstellung zu mir kam. Eines Tages war sie da und ist seitdem als Bretterzaun in einer wüsten, leeren Landschaft stehen geblieben. Nur eine Palme wuchs da noch, an deren Stamm ein Pappschild genagelt war, auf dem stand: Ende der Welt. Vom Ende der Welt her, von der Kindheit aus. / Schritte ins Offene, Kindheit heft 6/2004 weiterlesen

Wo der Hahnenfuss wächst / Zeitschrift DU 3/2004

Von Friederike Kretzen

Meine Mutter steht auf meinen Schultern. Wir sind riesenhaft. Wir ziehen durchs Land. Sie ist das Gebirge meines Lebens. Ueber uns spannt sich der Himmel, der Mond zieht auf und gleich da neben ihm diese winzige, verwischte Ausbuchtung, dort schläft die Verlorenheit, in der wir uns hier unten als ein schweres, unerträgliches Paar zu bewegen versuchen. Wir zwei, Mutter und Tochter, sind eine alte Geschichte und von lange her sind auch unsere Bewegungen, Ansichten und Aufgaben unterwegs, die immer wieder von neuem denen, die kommen und werden, aufgetragen sind. Seht zu, wie ihr euch einen Reim darauf macht, was euch verbindet und wie ihr es ertragt. Wo der Hahnenfuss wächst / Zeitschrift DU 3/2004 weiterlesen