Bewegte Bilder /L’oeil du tigre – Ein Bildband von Bernard Voïta / NZZ, 19.08.2000, S. 86

köh. Was sieht der Tiger im Sprung? Wird aus der Wiese ein Meer, aus Hügeln ein Fell? Von Bildern und Schatten, Aus- und Lichtblicken handelt der Fotoband „L’oeil du tigre“ von Bernard Voïta, zu dem die Schriftstellerin Friederike Kretzen einen schönen Text über die Zimmer der Kindheit und die Dunkelkammer der Erinnerung geschrieben hat. „Das Auge des Tigers“ ist ein doppelt belichtetes Buch über die Poesie der Bilder-Sprache und „das ungemachte Bett der Zeiten“. Ein Buch über das, was da ist, ohne zum Vorschein zu kommen, und die Augen, die grösser sind als der Magen, über die Metamorphosen des Blicks und den Kalender vom Kaufmann, mit Alpenlandschaften und Nordseeinseln als Trost für die nicht gemachten Reisen und Fenster zur Welt. Auch so entsteht Wahrnehmung, werden Blicke und blinde Flecken geprägt: aus Sehnsucht und Kinderfragen. „Ich verstand nicht, warum die Sterne am Tag nicht schwarz waren und schwarz leuchteten“, schreibt Friederike Kretzen – das war die Zeit, als das Kind die Dinge noch wörtlich und sich zu Herzen nahm. Das Herz „fühlt allerorten Bilder. Du, sagt es zum Kopf eines Kindes, könntest ein Himmel sein, mit den in allerkleinsten Buchstaben geschriebenen Sternen.“ Die stehen dann irgendwann schwarz auf Papier und leuchten weiter. Im Kopf des Lesers, im „Auge des Tigers“.
L’oeil du tigre. Photographien von Bernard Voïta mit einem Text von Friederike Kretzen. Memory/Cage Editions, Zürich 1999. Fr. 42.-