Ausschreibung Literaturinstitut Biel, Herbst 2020

Nie werden wir die Zeit haben, die wir brauchen; nutzen wir sie.

Für wen wir schreiben, elfte Runde.

Wir sagen, wir haben keine Zeit. Immer wieder müssen wir erleben, wie wir die Zeit nicht halten können, wie sie uns durch die Finger gleitet und noch nichts von dem, was wir doch erledigen wollten, ist getan. Ja, noch nicht einmal angefangen haben wir. 

Aber immerhin haben wir die Zeit gehabt, um zu empfinden, dass wir keine Zeit haben. Und die Zeit, die wir als die wahrnehmen, die wir nicht haben, wo ist die? Vergangen? An einem anderen Ort? Was ist sie für eine Zeit? Etwa eine Nicht-Zeit? Eine verlorene Zeit? Oder eine Zeit, die wir nicht haben, die aber zählt? Denn das kann die Zeit auch: zählen. Und wenn wir auf die Zeit zählen, auf ihr Vergehen, dann hört die Zeit nicht auf, sondern wird nur immer mehr.

Ob das alte Sprichwort ‚Kommt Zeit, kommt Rat’ mit dieser Erfahrung zu tun hat? Jedenfalls spricht sich in ihm eine Verbindung von Vergehen von Zeit und ihrem Kommen aus. Doch wie kann durch das Vergehen etwas kommen, was das gleiche ist, nur an einer anderen Stelle, nämlich später, und dadurch ändert sich alles? Und ist das der Rat, der mit der Zeit kommt und ihrem Vergehen? 

Proust, der grosse Spezialist im Suchgebiet der verlorenen Zeit, sagt, dass das Vergessen der sicherste Ort der Aufbewahrung ist. Im Vergessen verschwindet nichts, im Gegenteil. Was damit zu tun hat, dass wir Zeit verlieren müssen, wenn wir Zeit gewinnen wollen. Unser Gedächtnis ist voll von diesen Vorgängen und ihren vielen Zeiten.

Was das für unsere Arbeit, für den Prozess des Schreibens und Lesens, des Werdens und Wachsens von uns und unseren Texten bedeutet, möchte ich gerne mit Ihnen zusammen anschauen. 

Ich lade Sie ein zu einer kleinen Zeitreise um das Schreiben, während der wir unserem Schreiben begegnen, wie es sich äussert, wie es beharrt und widersteht, wie es stillhält, neuen Anlauf nimmt, anderen Atem holt, um seine ihm ganz eigene Zeit zu entfalten. 

Für den Fall, dass es uns schwindlig wird, können wir jederzeit anhalten, und uns ein bisschen die Zeit vertreiben.