Sprechabgewandte Gegend / Neue Zürcher Zeitung, 23.12.2000, S. 83

Das Selbstgespräch ist zunächst eine Ãœbung zum Warmwerden. Es hilft immer, um in etwas hineinzukommen. Sei es Wut, Liebe oder Angst. Sogar Vernunft öffnet ihre Türen, drauflos redend rennst du sie ein. Hier wird selbst gesprochen, steht an der Tür, die offen steht, und du bist sie eingerannt und hast schon angefangen zu zetern. Du willst vom selben sprechen, sagst du und zeterst weiter. Traut ist es hier nicht. Kein Selbstgespräch versteht sich von selbst. Das liegt am Selbst des Gesprächs, das anders ist, und es spricht, als wäre es der Mond.
Selbst ist der Mann und auch die Frau neuerdings. Das Kind ist weit und breit selbst nicht. Es ist noch unterwegs dahin, und wenn es spricht, ist alles da, hört zu und mischt sich schön. Mag es auch allein sein im Zimmer, redend ist es Teil des Geredeten und dieses eben ein Teil von sich als Rede. So können Kinder innen und aussen zugleich sprechen, und klar ist für sie, dass ja nein sein kann und nein ja. Es darf nur nicht verwechselt werden. Ein Kind sagt, wenn es mitten im Sommer in einen gekühlten Eisenbahnwagen kommt, oh, hier ist es schön ruhig. Was nicht stimmt, es ist aber kühl. Wächst sich solche Selbstlogik aus, was bei Kindern nicht passiert, vorher werden sie selbst der Mann oder die Frau, führt sie zu dem Schild an der Wand des Zimmers mit dem elektrischen Stuhl. Darauf steht: Silence.
Im Selbstgespräch kehren wir der Unterscheidung zwischen selbst und anderem den Rücken und treten ein in einen Zustand oder eine Bewegung, die uns in einen Kreis von Wörtern und Dingen versetzt, die auf ihrer Suche nach dem Selbst und seinem richtigen Namen von der Müdigkeit sozusagen überfallen wurden. Zusammengesackt hocken sie auf ihren Stühlchen, die sie mitgebracht haben. Wie vor ihnen schon die Schwester der sieben Brüder, die Raben geworden waren. Ein Stühlchen und ein Kanten Brot, damit hat sie sich auf den Weg gemacht. Sie ruhen aus, dösen, träumen, und würden wir dort als Selbstgewisse, Selbstbestimmte eintreten, sie würden von ihren Stühlchen fallen, und die sieben Brüder wären für alle Zeit verloren.
Im Märchen nämlich wird nie ein Selbstgespräch geführt. Allerdings wird mit Pferdeköpfen, Bäumen und in Öfen hinein gesprochen. Das Märchen ist die Sprechform, in der sich Wünsche Wünsche erzählen. Da hilft kein Selbst, sich selbst zu finden. Und es ist nur realistisch, dass es am Ende heisst: Und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute. Womit der Anfang gesichert ist. Der über die Zeiten reicht bis zum Kind, das redet und der sprechabgewandten Seite des grossen Sterns des Selbst lauscht, der bei ihm noch ein Bär ist. Und lauschend spricht. Und sprechend lauscht. Das Selbstgespräch des Kindes, das noch kein Selbst ist, wohl aber unter seinem Stern Runden dreht, ist eine Art Licht für die sprechabgewandten Gegenden. Dort können wir dann die Stühlchen sehen, auf denen die Wörter sitzen auf ihrer Wanderschaft, und auch die Dinge mit anderen Namen.