\u00dcber Friederike Kretzens Persien-Buch \u00bbBild vom Bild vom gro\u00dfen Mond\u00ab<\/p>\n\n\n\n
Florian Neuner 17.12.2023<\/p>\n\n\n\n
Schon ihr letztes Buch war ein\u00a0Reisebuch<\/a>, und schon in der 2017 erschienenen \u00bbSchule der Indienfahrer\u00ab waren reale und gedankliche Reisen ineinander verwoben zu einem poetischen Geflecht, einer Prosa, die nicht gefangen nimmt mit ihrer Story, sondern durch einen ganz eigent\u00fcmlichen Sog aus sprachlichen Bildern und Assoziationen. Wenn das neue Buch der Sprachk\u00fcnstlerin Friederike Kretzen im Untertitel \u00bbRoman einer Reise\u00ab hei\u00dft, dann ist das etwas irref\u00fchrend: Hier spricht unmaskiert das Erz\u00e4hler-Ich einer Autorin, die nach\u00a0Teheran<\/a>\u00a0reist und dort an der Schweizer Botschaft auftritt, \u00fcber ihr geplantes Persien-Buch spricht, Museen besucht und K\u00fcnstlerinnen trifft. Um ein Reisejournal handelt es sich aber ebenso wenig, denn auch wenn die Chronologie von der Ankunft in Teheran bis zur Weiterreise nach Isfahan gewahrt ist, sind doch die zeitlichen Spr\u00fcnge und Abschweifungen zahlreich, und die Sprache bewegt sich oft weit weg vom Protokoll der laufenden Ereignisse.<\/p>\n\n\n\n\n\n\n\n Diese Reisende ist eine privilegierte Besucherin aus dem Westen, und auch wenn sie Botschaftsempf\u00e4nge und Universit\u00e4ten besucht, ist sie doch keine typische Jetsetterin des Kulturbetriebs. Die Erz\u00e4hlerin hat w\u00e4hrend ihrer Studienzeit in Gie\u00dfen junge Perser kennengelernt, die nach der Revolution pl\u00f6tzlich verschwunden waren; und sie war 40\u2005Jahre vor der neuerlichen Reise, auf dem Weg nach Indien mit einer Freundesgruppe zum ersten Mal im Iran. Jetzt zieht es sie wieder dorthin und sie wendet sich an den Schweizer Botschafter: \u00bbAll die untergegangenen Gegenden in uns, schreibe ich ihm, mit ihren Sternen und kleinen Monden, wie sie uns manchmal nachts, in Tr\u00e4umen, oder kurz bevor wir erwachen, aufgehen. Irgendwo m\u00fcssen die sich doch aufhalten?\u00ab Die Relativit\u00e4t des geografischen Standorts wurde ihr schlagartig bewusst, als sie in Mumbai erfuhr, dass der Indische Ozean dort Arabische See genannt wird: \u00bbSofort dreht sich der Raum, steht kopf. Ich gerate in einen Wirbel, werde herumgeschleudert. Und mit mir die Geografie meiner inneren Anschauung. Ist alles, was ich je erlebt habe, verkehrt herum gewesen?\u00ab<\/p>\n\n\n\n \u00bbBild vom Bild vom gro\u00dfen Mond\u00ab kann man heute schwerlich lesen, ohne an die Ereignisse im Iran nach Mahsa Aminis Tod im September 2022 zu denken, die in dem Buch aber keine Rolle mehr spielen k\u00f6nnen. Kretzen vermeidet zwar konkrete Er\u00f6rterungen der politischen Lage und gibt auch keine politischen Diskussionen wieder. Und doch scheint irgendetwas in der Luft zu liegen: \u00bbJeden Tag wieder. Warten, dass etwas aufh\u00f6rt, der Vorhang sich \u00f6ffnet. Ist es nicht das, was sie mir alle sagen, jeden Tag?\u00ab Die Erz\u00e4hlerin indes bewegt sich mit offenen Augen durch die Megalopole und beschreibt Orte, an denen die Zeit stehen geblieben zu sein scheint, verfallende modernistische Bauten aus der Zeit des Schahs. Dass ein Theater 1973 ausgerechnet mit Tschechows \u00bbKirschgarten\u00ab er\u00f6ffnet wurde, deutet sie als \u00bbVorwegnahme des Untergangs\u00ab: \u00bbWas sonst h\u00e4tten sie damals spielen sollen? Spiel vom Ende und Endspiel. Schlafen, sterben. Die Kom\u00f6dien gehen weiter.\u00ab<\/p>\n\n\n\n Einmal, w\u00e4hrend einer Architektur-F\u00fchrung, kommt es zu einem Tumult vor einer Moschee, und die Frage dr\u00e4ngt sich auf: \u00bbIst die Revolution ausgebrochen? K\u00e4mpfe, Entfesselungen?\u00ab Nein, die Revolution ist noch nicht ausgebrochen, und es gibt auch keine Erkl\u00e4rung f\u00fcr den Zwischenfall. Das Regime ist im Alltag pr\u00e4sent und hat unmittelbare Auswirkungen auf das Leben aller. Soll eine K\u00fcnstlerin, die im Westen studiert hat, ihren franz\u00f6sischen Freund heiraten und das Land endg\u00fcltig verlassen?<\/p>\n\n\n\n Manche fl\u00fcchten sich in Sarkasmus: \u00bbSie sagen, sie warten, sie sagen, wir gehen nicht, harren aus. Sagen, wenn wir hundert sind, sind alle Frauen frei.\u00ab Dass es so nicht ewig weitergehen kann, scheint klar. Aber wie lange noch? \u00bbEtwas wird geschehen, sagt Maryam, wir werden erwachen. Wir oder die kommenden Generationen. Nichts, wof\u00fcr unsere Eltern und Gro\u00dfeltern gek\u00e4mpft haben, ist erledigt.\u00ab<\/p>\n\n\n\n Friederike Kretzens \u00bbRoman einer Reise\u00ab beginnt mit einer Frage: \u00bbHabe ich Persien gesehen oder einen Film von Kiarostami?\u00ab Dass sie die Welt nicht zuletzt durch die Brille ihrer Lekt\u00fcren und \u00e4sthetischen Erfahrungen wahrnimmt, ist der Erz\u00e4hlerin bewusst und wird in dieser Prosa reflektiert. Und auch das titelgebende \u00bbBild vom Bild\u00ab ist ja nicht einfach nur ein Bild. Als die Erz\u00e4hlerin auf einer Universit\u00e4tsveranstaltung auf ihr Persien-Buch angesprochen wird, zitiert sie Michel Foucault, der sich 1979 f\u00fcr die iranische Revolution begeisterte, nach Teheran fuhr und von \u00bbpolitischer Spiritualit\u00e4t\u00ab schrieb: \u00bbDas ist sein Traum von den vielen Orienten, ihren Unzug\u00e4nglichkeiten und den Subjekten, die sich gegen die Ratio jeglicher Universalit\u00e4t erheben. Danach suche ich auch mit meinem Buch.\u00ab Darauf meldet sich ein Mann aus dem Publikum und wendet ein: \u00bbIst das nicht einfach die Flucht aus der Sinnlosigkeit des Westens? (\u2026) Wir leiden, versuchen auszuhalten, bleiben, wollen aber nicht so hier sein, wie wir sind. Nur in den Westen wollen wir nicht. Amis go home. Der Westen ist die Leere.\u00ab<\/p>\n\n\n\n Friederike Kretzen: Bild vom Bild vom gro\u00dfen Mond. Roman einer Reise. D\u00f6rlemann, 288\u2005S., geb., 25\u2005\u20ac.<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":" \u00dcber Friederike Kretzens Persien-Buch \u00bbBild vom Bild vom gro\u00dfen Mond\u00ab Florian Neuner 17.12.2023 Schon ihr letztes Buch war ein\u00a0Reisebuch, und schon in der 2017 erschienenen \u00bbSchule der Indienfahrer\u00ab waren reale und gedankliche Reisen ineinander verwoben zu einem poetischen Geflecht, einer Prosa, die nicht gefangen nimmt mit ihrer Story, sondern durch einen ganz eigent\u00fcmlichen Sog aus sprachlichen … Traumzugang in ein fremdes Land<\/span> weiterlesen