Warning: The magic method SFML_Singleton::__wakeup() must have public visibility in /home/httpd/vhosts/kretzen.info/httpdocs/wp-content/plugins/sf-move-login/inc/classes/class-sfml-singleton.php on line 72 Warning: Cannot modify header information - headers already sent by (output started at /home/httpd/vhosts/kretzen.info/httpdocs/wp-content/plugins/sf-move-login/inc/classes/class-sfml-singleton.php:72) in /home/httpd/vhosts/kretzen.info/httpdocs/wp-includes/rest-api/class-wp-rest-server.php on line 1794 Warning: Cannot modify header information - headers already sent by (output started at /home/httpd/vhosts/kretzen.info/httpdocs/wp-content/plugins/sf-move-login/inc/classes/class-sfml-singleton.php:72) in /home/httpd/vhosts/kretzen.info/httpdocs/wp-includes/rest-api/class-wp-rest-server.php on line 1794 Warning: Cannot modify header information - headers already sent by (output started at /home/httpd/vhosts/kretzen.info/httpdocs/wp-content/plugins/sf-move-login/inc/classes/class-sfml-singleton.php:72) in /home/httpd/vhosts/kretzen.info/httpdocs/wp-includes/rest-api/class-wp-rest-server.php on line 1794 Warning: Cannot modify header information - headers already sent by (output started at /home/httpd/vhosts/kretzen.info/httpdocs/wp-content/plugins/sf-move-login/inc/classes/class-sfml-singleton.php:72) in /home/httpd/vhosts/kretzen.info/httpdocs/wp-includes/rest-api/class-wp-rest-server.php on line 1794 Warning: Cannot modify header information - headers already sent by (output started at /home/httpd/vhosts/kretzen.info/httpdocs/wp-content/plugins/sf-move-login/inc/classes/class-sfml-singleton.php:72) in /home/httpd/vhosts/kretzen.info/httpdocs/wp-includes/rest-api/class-wp-rest-server.php on line 1794 Warning: Cannot modify header information - headers already sent by (output started at /home/httpd/vhosts/kretzen.info/httpdocs/wp-content/plugins/sf-move-login/inc/classes/class-sfml-singleton.php:72) in /home/httpd/vhosts/kretzen.info/httpdocs/wp-includes/rest-api/class-wp-rest-server.php on line 1794 Warning: Cannot modify header information - headers already sent by (output started at /home/httpd/vhosts/kretzen.info/httpdocs/wp-content/plugins/sf-move-login/inc/classes/class-sfml-singleton.php:72) in /home/httpd/vhosts/kretzen.info/httpdocs/wp-includes/rest-api/class-wp-rest-server.php on line 1794 Warning: Cannot modify header information - headers already sent by (output started at /home/httpd/vhosts/kretzen.info/httpdocs/wp-content/plugins/sf-move-login/inc/classes/class-sfml-singleton.php:72) in /home/httpd/vhosts/kretzen.info/httpdocs/wp-includes/rest-api/class-wp-rest-server.php on line 1794 {"id":621,"date":"2019-09-04T17:04:02","date_gmt":"2019-09-04T17:04:02","guid":{"rendered":"http:\/\/kretzen.info\/?p=621"},"modified":"2019-09-05T11:44:31","modified_gmt":"2019-09-05T11:44:31","slug":"raeuberische-verschleppung","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/kretzen.info\/raeuberische-verschleppung\/","title":{"rendered":"R\u00e4uberische Verschleppung"},"content":{"rendered":"\n

Vortrag gehalten am 1.9.2019 Walser-Skulptur Biel<\/p>\n\n\n\n

Von R\u00e4ubern und ihren Verschleppungen <\/p>\n\n\n\n

\"\"<\/figure>\n\n\n\n

Kleine Vorrede<\/strong><\/p>\n\n\n\n

Vor kurzem habe ich im Rahmen einer Sommerakademie in Schrobenhausen ein Schreibseminar gegeben. Schrobenhausen gibt es wirklich, es ist eine Stadt in Bayern mit geschlossener Ringanlage um den alten Stadtkern. Der grosse Ethnopoet Hubert Fichte (er schrieb den unvollendet gebliebenen Romanzyklus \u201aDie Geschichte der Empfindlichkeit\u2019) war gegen Ende des zweiten Weltkriegs dort als Halbjude in einem Waisenhaus untergebracht, \u00fcber das er ein Buch geschrieben hat, mit dem Titel: Das Waisenhaus.<\/p>\n\n\n\n

\"\"<\/figure>\n\n\n\n
Friederike Kretzen bei ihrer Lesung in der Walser - Skulptur.<\/strong><\/pre>\n\n\n\n\n\n\n\n

Eine Schreibende in meinem Seminar las uns eine kurze Szene vor, die von ihrer Ausbildung als Trauerbegleiterin handelte. Im Gespr\u00e4ch beklagte sie sich \u00fcber einen Teilnehmer des Ausbildungskurses, der immer das Gegenteil von dem mache, was man ihm beizubringen versuche, damit er Trauernde entsprechend begleiten k\u00f6nne. Ich dachte sofort, wie gut, dass es diesen Teilnehmer gibt, der immer alles anders macht als es richtig zu machen w\u00e4re f\u00fcr die richtige Trauerbegleitung. Und ich sagte der Schreibenden, was f\u00fcr eine tolle Figur sie da habe. Eine, die mit den einfachsten Mitteln all das entsetzliche Zeug, das wir lernen und k\u00f6nnen sollen, um nichts mehr zu empfinden und denen, die trauern, auch das noch m\u00f6glichst schnell auszutreiben, vom Tisch wischt. <\/p>\n\n\n\n

\u201eMan muss mit einer gewissen Schw\u00e4che, einem Mangel in den Krieg ziehen gegen die grossen M\u00e4chte.\u201c Das sagt der iranische Filmemacher Abbas Kiarostami. Ein Satz, der haargenau auf diese Figur zutrifft, die mit einer gewissen Schw\u00e4che die Professionalisierung von Trauer und ihrer Begleitung zur\u00fcckweist, und das ist eine Form von Gnade. Ich kann nicht anders als zu denken, dass dieser Mann eine Figur von Walser sein k\u00f6nnte. Wenn nicht gar Walser selbst.<\/p>\n\n\n\n

1.\u201eIn Gefahr und gr\u00f6\u00dfter<\/em> Not \/\/ Bringt der Mittelweg den Tod.\u201c Diese Zeilen stammen von dem deutschen Dichter Friedrich von Logau aus der Barockzeit. Alexander Kluge zitiert sie, um davon zu erz\u00e4hlen, was Menschen verm\u00f6gen, wenn sie sp\u00fcren k\u00f6nnen, dass sie gemeint sind. Walser w\u00e4re nicht Walser, wenn seine Anwendung dieser Zeilen nicht so aussehen w\u00fcrde, dass er in der allergr\u00f6ssten Not immer den Mittelweg w\u00e4hlt. Ich glaube, das nennt man Todesmut. Radikaler l\u00e4sst sich jedenfalls die allergr\u00f6sste Not nicht wenden, als immer auf dem Mittelweg weiter zu gehen, der zum Tod f\u00fchrt. Das ist so radikal, dass sich damit nicht nur jede Mitte aufl\u00f6st, sondern auch alles, von wo aus eine solche noch bestimmbar w\u00e4re. In dieser v\u00f6lligen Ungesichertheit gibt es dann \u00fcberhaupt keinen Weg, ausser man geht ihn. Radikalit\u00e4t ist keine Angelegenheit des Willens, sondern der Erfahrung. Aus dieser Erfahrung kommt Walser, in ihr ist er immer weiter in der Mitte gegangen.  <\/p>\n\n\n\n

2.Irgendetwas hat mich beim Schreiben und Zusammentragen meines Vortrags unabl\u00e4ssig hingerissen, \u00fcber die R\u00e4nder zu gehen, abzuirren, weiter zu irren, ja, sozusagen nach Unsinn auszuschauen. All das geschah auf der Suche nach dem R\u00e4uber Walser, der, ich vertraue es ihnen hier gleich zu Beginn an, f\u00fcr nichts zu gebrauchen ist. Das allerdings ist, was wir an ihm so dringend brauchen.<\/p>\n\n\n\n

Bei dem Maler Braque habe ich einmal gelesen, dass Beweise die Wahrheit sch\u00e4digen, darum halte ich mich im weiteren lieber an all das, was nicht zu gebrauchen ist.  <\/p>\n\n\n\n

3. Schon \u00f6ffnet sich der Vorhang, wir schw\u00e4rmen aus, betreten die B\u00fchne. Um uns herum klares Sonnenuntergangslicht, das so bleibt. Wir werden Teil des Geschehens, in dem vor unseren Augen ein Wald, ein See, ein Herz auf die B\u00fchne treten. Das Herz ist so gross wie die Schweiz und viel schwerer. Darum kann es nicht bleiben und w\u00e4lzt sich gleich weiter zum See, \u00fcber die B\u00f6schung, f\u00e4llt ins Wasser, und schwimmt. Wenn alles gut geht, wird es die Petersinsel werden, der alte Walfisch in seinem Ozean. Aus dem Off ist ein Liedchen zu h\u00f6ren \u201aJunge, komm bald wieder\u2019. Das ist das Zeichen f\u00fcr die anderen Figuren aufzutreten. Sie kommen von hinter den B\u00e4umen, die eine Urweltsprache sprechen -, um die es im Weiteren unabl\u00e4ssig gehen wird. Davon aber sp\u00e4ter mehr, wie Walser sagen w\u00fcrde. <\/p>\n\n\n\n

Nacheinander treten nun auf: Eine Mutter und ihr Kind, ein Dichter, eine Dichterin als Gast, ein paar Schauspieler aus dem Ausland, des weiteren R\u00f6bi und die Katze. Die schaut bl\u00f6d, kann aber lesen. F\u00fcr sie schreibt R\u00f6bi am liebsten. Dazu gesellt sich jede Menge Unsichtbares und Stummes. Alle und alles sind verkleidet und unter ihren Kost\u00fcmen R\u00e4uber. <\/p>\n\n\n\n

Als R\u00e4uber sind sie Heimsuchungen. Wurden in fr\u00fcher Zeit selbst heimgesucht und verliessen daraufhin ihr Haus. Das sie seitdem nun suchend immer bei sich tragen. Sie sind die Liebenden des Terrains.<\/p>\n\n\n\n

4. Die Metapher von R\u00e4uber ist R\u00e4uber. Das heisst, R\u00e4uber sind keine R\u00e4uber, sondern Metaphern. Allerdings sind sie Metaphern, die keine sind. Sie spielen ein doppeltes Spiel, denn sie sind R\u00e4uber. Klar, dass sie Sprachr\u00e4uber sind. Sie rauben die Sprache und sind die von ihr Beraubten. Jeder gute R\u00e4uber ist sprachlos, daher sein r\u00e4uberisches Verh\u00e4ltnis zur Sprache. Die R\u00e4uber, mit denen wir hier zu tun haben werden, k\u00f6nnen etwas, das die wenigsten von uns k\u00f6nnen, was vielleicht nur die k\u00f6nnen, die ihre r\u00e4uberische Kunst so offen und gef\u00e4hrlich wie m\u00f6glich halten: Sie k\u00f6nnen Nicht-K\u00f6nnen. <\/p>\n\n\n\n

Nur, wer das Nicht-K\u00f6nnen kann, weiss, wieviel K\u00f6nnen verdeckt, wieviel Ungekonntes, Kleines, Ungeschicktes in ihm zum Schweigen gebracht wird. \u201eMich entsetzt der Gedanke, ich k\u00f6nnte in der Welt Erfolg haben.\u201c Sagt der Oberr\u00e4uber Walser und ich frage mich, ob wir hier als Unr\u00e4uber das verstehen k\u00f6nnen. Ob es uns daf\u00fcr nicht an jenem kindlichen Adel mangelt, der die r\u00e4uberischen Walserfiguren beseelt. F\u00fcr sie gehen K\u00f6nnen und Nicht-K\u00f6nnen auseinander hervor wie Schatten von Tr\u00e4umen, und keiner kann sagen, was vorher da war, der Schatten oder sein Traum.<\/p>\n\n\n\n

5. Sollten Sie jetzt erraten haben, wo wir sind, so werden Sie richtig geraten haben,- wir sind in Biel in Roberts Wald, in dem alle Botschaften immer ankommen, sie m\u00fcssen noch nicht einmal die Richtung wechseln. Weil, ja, weil- so sollte man nie einen Satz anfangen,- sie sind immer zu mehreren, treten aber auf als w\u00e4ren sie einzeln. (Siehe Metaphern)<\/p>\n\n\n\n

Jeder Versuch, in Walsers Wald von Walsers Wald zu sprechen, l\u00e4sst uns schlagartig ins Walser\u2019sche Universum st\u00fcrzen und wir folgen schon, sprechen nach, was er geschrieben hat, wiederholen, was er uns lesen macht, winden uns in seinen unnachahmlichen Wendungssatzt\u00e4nzen, und haben jedes Ged\u00e4chtnis verloren, wo der Honig zu holen w\u00e4re. Denn f\u00fcr dieses, das Walserwalduniversum, in dem alles, was gesagt wird, alles Ungesagte, Nie Gesagte, alle Stummheit und Nie Gewesenheit mit sich bringt, gilt: Je mehr ich es verstehen will, um so weniger werde ich verstehen, je mehr ich in sein innerstes Geheimnis vordringen will, um so \u00e4usserlicher wird mir alles, was ich suche. <\/p>\n\n\n\n

So dass wir, ob wir uns nun mit der Grubenlampe auf dem Kopf im Walsertextstollen mit Schaufeln und Hacken abm\u00fchen, oder im freien Fall, v\u00f6llig angesteckt \u00fcber eine seiner schroffen Textkanten weit hinausst\u00fcrzen, wir uns berglos, schatzlos, sinnlos, mitten in Walsers Wald finden, weit entfernt davon, n\u00fctzliche Menschen zu sein, unbrauchbar, freundlich gestimmt und wir harren der Dinge. „Nothing left to do when you\u2018ve got to go on waiting for the miracle to come.“ Das singt der alte Leonard Cohen. <\/p>\n\n\n\n

6. Denn jener, der Robert, hatte sich vorgenommen, – wie er in einem fr\u00fchen Brief an seine Schwester Lisa schreibt: \u201eMan muss alles sch\u00f6n finden.\u201c Daran hat er sich gehalten. Eine der h\u00e4rtesten Forderungen, denen ein K\u00fcnstler sich unterwerfen kann. <\/p>\n\n\n\n

Alles, was Walser schreibt, ist sch\u00f6n, tanzt uns voraus, unterbricht mit gr\u00f6sster Heiterkeit, geht seinen Gang durch die Mitte, von Satz zu Satz, bis der einfach irgendwo stehen bleibt und wir rennen wie die amerikanischen B\u00fcffel \u00fcber die Klippe in den Abgrund. Alles sch\u00f6n zu finden, das war sein \u00e4sthetisches Mass im Leben, seine Sturheit, seine Lampe. Es war auch das, was ihn sich sch\u00f6n finden liess, das, was die Sch\u00f6nheit seiner Texte sch\u00f6n macht, die Heiterkeit seiner Texte heiter. Denn heiter sind sie nicht, nur angenommen heiter, vorgestellt sch\u00f6n, von solcher L\u00e4ssigkeit, dass sie uns glauben machen k\u00f6nnen, sie brauchten gar nicht sein, w\u00e4ren unn\u00f6tig, also ohne Not. So geschieht in seinen Texten, was geschieht, weil es sowieso geschieht. \u201eSchrieb je ein Schriftsteller so aufs Geratewohl?\u201c<\/p>\n\n\n\n

Als Walser dann nicht mehr schrieb, hielt er auch das noch f\u00fcr sch\u00f6n, was seine Art war, weiter zu schreiben, als er es schon lange nicht mehr tat. <\/p>\n\n\n\n

Walser an Lisa Walser <\/em><\/p>\n\n\n\n

Brief, Z\u00fcrich, undatiert (Herbst 1904)<\/em><\/p>\n\n\n\n

Liebe Lisa.
\nDeine Briefe haben mich nicht nur sehr gefreut, sie haben mir auch viel zu sinnen gegeben. Ich h\u00e4tte Dir so vieles zu sagen, Dich so vieles zu fragen. Wenn nur die Tage nicht so kurz w\u00e4ren. Es ist oft schrecklich. Ist Dir das Leben oft unertr\u00e4glich? Ja? Oft? Was ist da zu machen? Willst Du zu mir kommen? Ich werde mit meinen f 150.\u2013 Gehalt f\u00fcr beide M\u00e4uler sorgen. Wir essen, wie in T\u00e4uffelen, wenig aber fein. Du kochst und besorgst die kleine Wohnung, K\u00fcche 2-3 Zimmerchen. Ich trage Dich auf H\u00e4nden! Glaubst Du\u2019s? Ich werde den Widman parodiren, damit Du lachen kannst. Es gibt hier \u00fcberhaupt viel zu lachen. Es ist eine so tolle, leichte Stadt. Man weint hier s\u00fc\u00df und sch\u00f6n. Du k\u00f6nntest auch etwas Geld verdienen, bei feinen Herrschaften, vielleicht. Oder wollen wir uns beide zu einer Herrschaft begeben, f\u00fcr unser ganzes Leben, [Du] als Hausm\u00e4dchen, ich als Hund?  Ich wenigstens tr\u00e4ume immer von so etwas. Man mu\u00df alles sch\u00f6n finden. Man mu\u00df nichts fliehen wollen. Dein Schicksal r\u00fchrt mich sehr. Wei\u00dft du, ich liebe die M\u00e4dchen, die leiden, so sehr. Ich bin sonst ein gef\u00fchlloser Hallunke, aber hier, nun ja! Willst Du Deine Heimat oder Dein Wohlbehagen verlassen? Kannst Du Dich dort in Biel nicht mehr wohlf\u00fchlen? Sieh, ich verstehe Deine Schmerzen sehr, sehr gut. Wir werden dar\u00fcber plaudern. Nur nicht denken. Liebe Lisa, das ist die gr\u00f6\u00dfte S\u00fcnde, die es gibt. Lieber liederlich, als traurig sein. Gott ha\u00dft die Traurigen. Doch es geht alles so schnell vorw\u00e4rts. Man stirbt so schnell. Versimple nur. Es ist etwas herrliches um\u2019s Versimpeln. Aber man mu\u00df es eigentlich nicht tun wollen, es macht sich von selbst. Denke, da\u00df ich dein treuer Bruder bin. Soll ich dich, wie ein ganz kleines ungl\u00fcckliches Kind, auf meinen H\u00e4nden tragen? Ich bin\u2019s schon im Stande. Ich kann das. Dein Robert. <\/em>\uf733\uf730 <\/em><\/p>\n\n\n\n

Kannst Du nicht mit Feuer schulm[eistern], dann hat man Dir einen schauderhaft schlechten Dienst erwiesen, als man dich in dem Vorsatz best\u00e4rkte, Schullehrerin zu werden. Aber eben, man ist so roh, so dumm auf dieser Welt. <\/em><\/p>\n\n\n\n

Ich fange an, mit Innbrunst an eine Allmacht zu glauben, die mit uns [macht], was sie will! liebe S[chwester] <\/em><\/p>\n\n\n\n

7. Jetzt sind wir schon mitten in Walsers Wald und sehen vor lauter Wald den Wald nicht mehr. Zudem der nicht irgendein Wald ist, sondern der vom Maler Diaz gemalte, in dem von den St\u00e4mmen der B\u00e4ume, ich erw\u00e4hnte es schon, eine Urweltsprache gesprochen wird. Was auch eine Kost\u00fcmierung ist. Wie alles, was mit Urwelt, Ursprung und anderen solchen Ur-Silben daherkommt, um etwas zu verbergen. <\/p>\n\n\n\n

Unter dem Urweltsprachen-Kost\u00fcm ist diese Sprache die der R\u00e4uber. Sie arbeiten in dem Gebiet, in dem es nichts gibt ausser: Vogel friss oder stirb. Das gilt auch f\u00fcr ihre Sprache. Sie ist wie ein Schnitt, sie schneidet bis auf die Knochen, trennt, zerteilt, nimmt auseinander. \u201eM\u00fctterchen und Kind standen still\u201c, schreibt Walser. Da sind sie noch zusammen, wissen l\u00e4ngst, was geschehen wird. \u201eDas Laub am Boden raunte: \u201aWas in diesem kleinen Aufsatz steht, ist scheinbar sehr einfach, aber es gibt Zeiten, darin alles Einfache und Leichtbegreifliche drum sich vom Menschenverstand total entfernt und daher nur mit gr\u00f6sster M\u00fche begriffen wird.\u2019\u201c <\/p>\n\n\n\n

Nun, sind Sie bereit? Are you experienced? Dann kommen Sie mit in den Wald von Diaz, in dem eine Sprache zu Wort kommt, die uns von all dem, was wir lieben, abschneidet, um aus uns Liebende zu machen. Solche Liebende, wie es die R\u00e4uber sind, an denen nichts verloren ist. <\/p>\n\n\n\n

Transkription des letzten Textes auf dem \u00abMikrogramm\u00bb Nr. 255 <\/em><\/p>\n\n\n\n

Der Wald von Diaz. <\/em><\/p>\n\n\n\n

In einem von Diaz gemalten Wald standen M\u00fctterchen und Kind still. (gestr.: Ihr) Vom Dorf waren sie wohl eine Stunde weit entfernt. Knorrige St\u00e4mme redeten (gestr. Silbe) in einer Urweltsprache. Die Mutter sprach zum Kind: \u00abIch bin der Meinung, dass du dich nicht so an meine Sch\u00fcrze klammern solltest. Als wenn ich nur f\u00fcr dich da w\u00e4re. Unbesonnenes, was denkst du eigentlich? Du Kleines m\u00f6chtest die Grossen abh\u00e4ngig von dir machen. Ei, wie gedankenlos. Es ist n\u00f6tig, dass einiges (gestr.: Gedanken) Denken in dein schlummerndes K\u00f6pfchen kommt, und (gestr.: zu dir um?) damit das wirklich eintrifft, lasse ich dich jetzt allein. Sogleich h\u00f6rst du auf, dich mit deinen H\u00e4ndchen (gestr.: zu) an mir zu halten, Unfl\u00e4tiges, Aufdringliches. Ich habe Grund, b\u00f6se mit dir zu sein, und glaube auch, ich bin es. Man muss endlich mit dir deutsch reden, sonst bleibst du dein Leben lang ein h\u00fclfloses Kind, in einem fort auf die Mutter angewiesen. Damit du die Liebe zu mir kennen lernst, musst du auf dich selbst angewiesen sein, musst zu fremden Leuten hin und ihnen dienen und darfst nichts zu h\u00f6ren bekommen als harte Worte, ein Jahr, zwei Jahre lang und noch l\u00e4nger. Alsdann wirst du wissen, was ich dir gewesen bin. Immer nur um mich, bin ich dir unbekannt. Ja, Kindchen, du gibst dir keine M\u00fche, du weisst gar nicht, was M\u00fche ist, geschweige Z\u00e4rtlichkeit, du Unzartes. Mich immer zu haben, macht dich ganz denkfaul. Dann denkst du keine Minute, und eben das ist die Denkfaulheit. Du sollst arbeiten, mein Kind, und du bringst es fertig, wenn du willst, und du wirst schon wollen m\u00fcssen. So wahr ich hier mit dir im Wald stehe, den Diaz malte, sollst du dir den Lebensunterhalt sauer verdienen gehen, damit du mir innerlich nicht verwilderst. Viele Kinder werden roh, weil man sie verz\u00e4rtelt, weil sie nie denken, danken lernten. Die geben alle sp\u00e4ter nur \u00e4usserlich sch\u00f6ne und feine Damen und Herren ab, bleiben selbsts\u00fcchtig. Um dich davor zu bewahren, dass du grausam wirst, (gestr.: in) T\u00f6richtheiten dich hingiebst, behandle ich dich roh, denn aus zu sorglicher Behandlung stehen Gewissen- und Sorgenlose Leute auf\u00bb. Als das Kind diese Sprache vernahm, (gestr.: machte) \u00f6ffnete es die Augen schreckensweit, es zitterte, und durch die Bl\u00e4tter des Diazwaldes fuhr ebenfalls ein Zittern, aber die kr\u00e4ftigen St\u00e4mme standen fest. Das Laub am Boden raunte: \u00abwas in diesem kleinen Aufsatz steht, ist scheinbar sehr einfach, aber es gibt Zeiten, darin alles Einfache und Leichtbegreifliche drum sich vom Menschenverstand total entfernt und daher (gestr.: nicht) nur mit grosser M\u00fche begriffen wird\u00bb. So raunte das Laub. Die Mutter war gegangen. Das Kind stand allein da. Vor ihm stand die Aufgabe, sich in der Welt, die auch ein Wald ist, zurechtzufinden, von sich selbst eine geringe Meinung hegen zu lernen, die Selbstgef\u00e4lligkeit aus sich zu vertreiben, damit es gefalle. <\/em><\/p>\n\n\n\n

8. Eine Mutter schickt ihr Kind weg, schneidet es sich vom Leib, damit es lerne, nicht zu verwildern und um jede Selbstgef\u00e4lligkeit aus sich zu vertreiben. \u201eDamit es gefalle.\u201c <\/p>\n\n\n\n

Diese Mutter, es w\u00e4re leicht, sie monstr\u00f6s zu nennen, ist eine Sprachmutter, und zwar eine gute. Sie weiss etwas von der Urweltsprache. Sie \u00fcbersetzt sie f\u00fcr uns, versucht, uns vor ihr zu sch\u00fctzen, indem sie uns auf uns selbst verweist. Immer wieder trennt sie uns los von sich, schickt uns fort, macht uns sprachlos, l\u00e4sst uns zur\u00fcck, damit wir ihre Liebe lernen k\u00f6nnen, ihre Verl\u00e4sslichkeit, ihre G\u00fcltigkeit, mit der sie uns begleitet, indem sie uns von sich trennt. \u201eTod oder Kaiserschnitt\u201c, heisst diese Operation bei Heiner M\u00fcller.<\/p>\n\n\n\n

Ohne den Wald von Diaz s\u00e4he die Landkarte der tr\u00e4umenden Welt, ihrer Wachtr\u00e4ume und Halluzinationen anders aus. In diesem Wald findet eine Szene statt, die von der Bedingung des Schreibens, von der M\u00f6glichkeit der Sprache handelt: Aufzuwachen. <\/p>\n\n\n\n

Hier, in diesem gemalten Wald aus Text, in dieser mehrfach kost\u00fcmierten Szenerie, in einem Inneren, das von \u00fcberall zu sehen ist, spricht eine Sprachmutter eine Grausamkeit aus, die sagen zu k\u00f6nnen der Schutz vor dieser Grausamkeit ist. H\u00f6ren Sie: \u201eMan muss endlich mit dir deutsch reden, sonst bleibst du dein Leben lang ein hilfloses Kind, in einem fort auf die Mutter angewiesen. Damit du die Liebe zu mir kennen lernst, musst du auf dich selbst angewiesen sein, musst zu fremden Leuten hin und ihnen dienen und darfst nichts zu h\u00f6ren bekommen als harte Worte, ein Jahr, zwei Jahre lang und noch l\u00e4nger. Alsdann wirst du wissen, was ich dir gewesen bin. Immer nur um mich, bin ich dir unbekannt. Ja, Kindchen, du gibst dir keine M\u00fche, du weisst gar nicht, was M\u00fche ist, geschweige denn Z\u00e4rtlichkeit, du Unzartes. Mich immer zu haben, macht dich ganz denkfaul. Dann denkst du keine Minute und eben das ist die Denkfaulheit.\u201c<\/p>\n\n\n\n

Walser als Mutter seiner Texte und Kind seiner Figuren legt uns in diesem Text ans Herz: Lerne die Dankbarkeit, sie ist Denken. Lerne sie von dir und an dir. Lerne das Unlernbare, aber lerne es. Schon umschwirren uns die nichtsnutzigen R\u00e4uber und geben uns ihr Fleisch und ihre Knochen. <\/p>\n\n\n\n

9. Denn der Wald von Diaz ist ein Heim der Kunst, wo all das zur Sprache kommt, was so oft ausgeschlossen, vor die T\u00fcre verwiesen wird. Der Wald von Diaz mit seiner grausamen Urweltsprache ist zugleich die Gegend, in der alle unzustellbaren Botschaften, alle verlorengegangenen Sendungen und Schickungen Obdach in der Sprache finden. Alles, was darin vorkommt, sagt die M\u00f6glichkeit der Sprache und der Literatur, und dass es im Schreiben genau darum geht, auf all das zu h\u00f6ren, was da ist, was spricht, es nicht abzutun, sondern es reinzulassen. Das w\u00e4re die Bedingung der M\u00f6glichkeit, dass sich die Zeiten, in denen das Einfache und Leichtbegreifliche, gerade weil es einfach und leichtbegreiflich ist, nicht begriffen wird, wie das Laub beklagt, auch wieder \u00e4ndern k\u00f6nnen. <\/p>\n\n\n\n

10. Ich habe mir darum erlaubt, im Wald von Diaz noch ein paar wenige G\u00e4ste auftreten zu lassen. Da ist zum einen die verwandte Dichterin Adelheid Duvanel. Es gibt sie, auch wenn sie so schnell, so gerne \u00fcbersehen wird. Ich w\u00fcrde mal sagen, vor lauter Angst vor ihr. Klar, dass diese Dichterin nochmal ganz andere R\u00e4uberbanden und Metaphern bildet, in denen sie in ihren Texten hausen. Aber was das R\u00e4ubern, den Mut, die Notwendigkeit, sich von keinem Versprechen von Erfolg beeindrucken zu lassen angeht, sondern dem, was sie erfahren hat, dem, dessen sie sich verpflichtet f\u00fchlt, treu zu bleiben, ist sie eine direkte Verwandte Walsers. Sie kommt aus dem Land Duvanel, das in Basel liegt.<\/p>\n\n\n\n

Am Ende werden noch ein paar persische R\u00e4uber zu Wort kommen, die mich eines Abends auf einer Ansichtskarte in Isfahan anschauten. Sie waren eine alte Theatergruppe, die R\u00e4uber spielte. Sie wollen Gr\u00fcsse an die Waldgemeinschaft \u00fcberbringen. Jener Radikalen, die in gr\u00f6sstem Leid und Schmerz f\u00e4hig waren, klar zu sehen, dass so lange sie der Sprachmutter, ihrer grausamen Lehre zuzuh\u00f6ren wagten, sie nicht verloren waren.<\/p>\n\n\n\n

11. Die Dichterin, die nun gleich spricht, hat ihr Lebtag geschrieben. Wie Roberts Figuren kommen auch die ihren aus dem, was gemeinhin als Wahnsinn bezeichnet wird. Sie schrieb eine Menge B\u00fccher, voll mit vielen kleinen Texten, die, \u00e4hnlich wie bei Walser, immer mit der T\u00fcr ins Haus fallen. Eine bew\u00e4hrte R\u00e4ubermethode, um unsere H\u00e4user mit einem Satz undicht zu machen. Schon sind sie uns mit ihren Figuren und Situationen viel zu nah gekommen, sitzen uns gegen\u00fcber im Wohnzimmer und wir hatten keine Zeit, den S\u00e4bel rauszuholen. <\/p>\n\n\n\n

\u201eEdith liebt ihn. Hievon nachher mehr.\u201c<\/em> So der Anfang von Walsers R\u00e4uberroman. <\/p>\n\n\n\n

Die Anf\u00e4nge Duvanels gehen so:\u201e\u00dcber Nacht ist die Welt reif geworden, ein zarter, weisser Schimmel ist auf ihr gewachsen – Fr\u00fchlingsschnee.\u201c\/ <\/em><\/p>\n\n\n\n

\u201eIm sich schliessenden Kelch des Himmels schimmert wie ein Wassertropfen der Mond; das Lied einer Amsel schlingt Girlanden aus Duft um die Stadt.\u201c\/ <\/em><\/p>\n\n\n\n

\u201eDer Kastanienbaum streckt seine roten und weissen Bl\u00fcten wie ein Sieger in die Luft: Er wird Fr\u00fcchte tragen.\u201c\/ <\/em><\/p>\n\n\n\n

\u201eArthur war keineswegs gedankenfaul, und er bildete sich weiter, indem er Kurse besuchte, die ihm gewandte Umgangsformen, Kochen, Fotografieren und Stenographie beibrachten. Er bem\u00fchte sich, den menschlichen Kontakt zu pflegen, doch wo er sich auch in die unsichtbaren Zelte einschleichen wollte, in welchen er die anderen einzeln oder in Gruppen vermutete \u2013 stets stand ein Engel davor und verwehrte ihm den Eingang mit der Geste eines Coiffeurs, der es bedauert, keine weitere Kundschaft mehr bedienen zu k\u00f6nnen.\u201c<\/em><\/p>\n\n\n\n

Walser wie Duvanel geh\u00f6ren zu den Schreibenden, die, w\u00e4ren sie nicht die Schreiber und Schreiberinnen ihrer Figuren, w\u00e4ren sie die Figuren ihrer Texte. So schreiben sie ihre Figuren und die leben dann das Leben ihrer Schreiber, halten sie fest im Griff, damit sie nicht vom Weg abkommen. In ihren vielen kleinen Texten schreiben sie ihren grossen Ich-Roman, gut getarnt als diese vielen einzelnen Texte, die am Rock keiner Sprachmutter h\u00e4ngen, die gelernt haben, f\u00fcr sich zu stehen, nicht selbstgef\u00e4llig, nicht innerlich verwildert, sondern zart.<\/p>\n\n\n\n

Walser aus \u201eEine Art Erz\u00e4hlung\u201c<\/em><\/p>\n\n\n\n

Ich wei\u00df, da\u00df ich eine Art handwerklicher Romancier bin. Ein Novellist bin ich ganz gewi\u00df nicht. Bin ich gut aufgelegt, d. h. bei guter Laune, so schneidere, schustere, schmiede, hoble, klopfe, h\u00e4mmere oder nagle ich Zeilen zusammen, deren Inhalt man sogleich versteht. Man kann mich, falls man Lust hiezu hat, einen schriftstellernden Drechsler nennen. Indem ich schreibe, tapeziere ich. Da\u00df mich einige freundliche Menschen f\u00fcr einen Dichter meinen halten zu d\u00fcrfen, lasse ich mir aus Nachgiebigkeit und H\u00f6flichkeit gefallen. Meine Prosast\u00fccke bilden meiner Meinung nach nichts anderes als Teile einer langen, handlungslosen, realistischen Geschichte. F\u00fcr mich sind die Skizzen, die ich dann und wann hervorbringe, kleinere oder umfangreichere Romankapitel. Der Roman, woran ich weiter und weiter schreibe, bleibt immer derselbe und d\u00fcrfte als ein mannigfaltig zerschnittenes oder zertrenntes Ich-Buch bezeichnet werden k\u00f6nnen. <\/em><\/p>\n\n\n\n

12. Nun aber spricht die Dichterin: Weisst du noch, sagt sie. So fangen alle S\u00e4tze an, die einen Schatz bergen. Wei\u00dft du noch, als wir uns das letzte Mal sahen, hatte sich uns der Wald von Diaz gen\u00e4hert und f\u00fcr Momente glaubten wir, die Kinder Macbeths zu sein, denen sich als alte Rache der W\u00e4lder immer wieder der wandelnde Wald von Birnam n\u00e4herte. Dabei war der Wald ja unser Kind, und wir die Eltern einer Alpenrepublik, in die wir hineingeboren wurden. Schn\u00f6rkellos, ungefragt und mit etwas ausgestattet, das uns wehrlos machen sollte gegen die Unm\u00f6glichkeit wegzubleiben. So dass wir schnell begriffen, was es heisst, in Schweizer K\u00f6rpern lebendig zu sein: r\u00e4uberisch, verschleppt, zur\u00fcckweisend.<\/p>\n\n\n\n

Wobei es, wie du wei\u00dft, lieber Robert, bei mir schon fr\u00fch anfing, gerade siebzehn geworden und schon mit der Dienstpistole des Vaters, eines hohen Richters, in die Schaufenster des Kaufhaus Knopf geschossen. Seitdem nur noch am Rand gelebt, fest entschlossen, keinen Klagelaut zu verlieren. Wie das Kind in einem meiner Texte, dass den Schmerz beim Zahnarzt aufhob und zu Gott sandte, mit der Bitte, seinen Vater umkommen zu lassen. Und unser Kind, das ist der Wald von Diaz, ein gemalter Textwald und wir seine leibhaftigen Bewohner. Gingen in ihm ein und aus, der Vogel frass, und starb nicht. Das Laub konnte schon damals sprechen, auch die Farben, das Licht. Sp\u00e4ter dann spielten wir Mutter und Kind, und wie sie sich trennen, auseinandergehen, um nicht zu verrohen, innerlich nicht zu verwildern. Im Trennen verstanden wir uns Wort f\u00fcr Wort. <\/p>\n\n\n\n

Jedes Wort war ein Schnitt ins Fleisch der Wirklichkeit, – wir schnitten uns aus, wir schnitten uns frei. Wir gingen weiter, als wir sehen konnten. Oder sahen wir weiter und konnten nicht gehen? Ich sehe uns tot daliegen. Jeder an seiner Stelle, unter freiem Himmel, du ausgestreckt auf weitem Feld am Rand des Wegs in frostklirrender Winterzeit. Ich im Wald, mitten im Juni, in einer Nacht voller Frost. Ein interessantes Wetterph\u00e4nomen, haben die Meteorologen gesagt, diese Hofnarren. Sie treiben Schabernack mit unserem treuesten Begleiter, dem Wetter,- als ob sie etwas von ihm w\u00fcssten. Tod durch Erfrieren, mein Lieber, irgendwo hier im Jura zwischen Basel und Biel auf einem Berg, im Wald, mitten im Sommer. Das war ich. <\/p>\n\n\n\n

13. Das k\u00f6nnen nur Dichter. Dichterinnen auch. Das sagt nun der Wald. Er ist vorgetreten, hat sich der Dichterin in den Weg gestellt. Dann gibt es hier auch noch Kollegen, sagt er, die als Hasen auf Schlittschuhen dem zugefrorenen See sch\u00f6n geschwungenen B\u00f6gen einschreiben. \u201eDu wei\u00dft doch: der Osterhase kriecht bestimmt aus der Erde.\u201c Sagt der Kollege J\u00f6rg Steiner, der wie unsere R\u00e4uber aus der Schule von Biel kommt, die nie eine Schule war, nur eine kleine grosse Umarmung der Welt, die hier ihr Gasthaus hat mit dem Namen \u201eEnde der Welt\u201c.<\/p>\n\n\n\n

„Warum haben wir die eigentlich? Wer hat uns die heimlich in die Westentasche gesteckt? Vielleicht ein Engel oder sonst eine tr\u00fcbe Null.“sagt der Dichter Walser. Er wurde manchmal als Fee gesehen, die am Ende ihres Lebens auf eine Schneepapierfl\u00e4che f\u00e4llt und sie mit ihrem, also seinem K\u00f6rper, beschriftet. Sch\u00f6nes Bild. Aber Feen sind keine Engel, nur so \u00e4hnlich. Engel n\u00e4mlich gehen immer vorw\u00e4rts. Wobei man sie nie gehen sieht, sie gleiten dahin, \u00e4hnlich wie der Osterhase des Kollegen. Sie drehen sich auch nie um. Schweizer Engel besonders nie, sie sind vollkommen furchtlos. Denn wenn die Furcht kommt, sind sie schon lange weg. Es sind allesamt Ungl\u00fccksengel, Irrsinnsengel, Pechv\u00f6gel und manchmal auch Katzen. Nat\u00fcrlich immer R\u00e4uber.<\/p>\n\n\n\n

Ihre Furchtlosigkeit kommt von der \u201aVogel friss oder stirb\u2019 Sprache. Die hat sich in ihnen angesiedelt und ausgedehnt. Sie sind \u00e4usserste Realisten. Sie m\u00fcssen sich nicht viel bewegen, um in der Welt herumzukommen. Ab und zu kehren sie zur\u00fcck in den Wald von Diaz – Nabel der Welt -, wo sie als Kinder mit ihren M\u00fcttern hineingingen und ohne sie wieder hinaus. <\/p>\n\n\n\n

Ist es n\u00f6tig zu erw\u00e4hnen, dass es von der Engelsgeduld zur Engelsungeduld nicht weit ist? <\/p>\n\n\n\n

H\u00f6ren Sie, so spricht der Dichter Walser: \u201eEin Kn\u00f6dli mit Senf schmeckte mir herrlich, was mich nicht hinderte, anzunehmen, in einem Ichbuch sei wom\u00f6glich das Ich bescheiden \u2013 fig\u00fcrlich, nicht autorlich.\u201c Das bringt die Dichterin zum Lachen. Auch die Engel, die sich auf den \u00c4sten der B\u00e4ume niedergelassen haben, m\u00fcssen lachen. Das Laub raschelt uns raunt: Es war Vorfr\u00fchling, alles war noch nicht wirklich und stand noch bevor.<\/p>\n\n\n\n

14. Machen wir uns nichts vor. Die R\u00e4uber und ihre Dichter sind verst\u00f6rend, sie bleiben uns bei aller N\u00e4he fern. Sie sind Mondabk\u00f6mmlinge, Kinder einer lunatischen Ekstase, die im \u201eVielleicht\u201c, im \u201eGlaube ich\u201c, im \u201eHievon sp\u00e4ter mehr.\u201c ihre Fl\u00fcgel bewegen, sich zum Flug erheben, um immer wieder nie zur\u00fcck zu kommen. Sie sind Abschiedsfiguren, den Hinwegen verschrieben. Ihre Texte sind Durchbr\u00fcche auf zerst\u00fcckelte Mythen und M\u00e4rchen, Heim f\u00fcr alles ungeschickte Schicksal, Fluchtpunkt des Wahnsinns wie der genauesten Reflektion dessen, was einmal war und nie aufgeh\u00f6rt hat, da zu sein. <\/p>\n\n\n\n

Sie kommen aus einer diffusen Dichte und Enge, und sie haben sie \u00fcberlebt. Ihre Beute ist das \u00dcberlebthaben. Das macht die Stimmung ihrer Texte aus, dieser stille, beharrliche Jubel, da zu sein.<\/p>\n\n\n\n

15. Am Ende, wir sind wieder aus dem Wald hinausgetreten, aber noch auf der B\u00fchne, \u00fcbergebe ich das Wort an die R\u00e4uber aus Isfahan. Ihr Gruss ist ein altes Sprichwort der Belutschen: Geboren werden, umherirren, sterben, verwesen, vergessen werden.<\/p>\n\n\n\n

Nach diesen Schlussworten: Weiterspielen.<\/p>\n\n\n\n

Friederike Kretzen August 2019<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

Vortrag gehalten am 1.9.2019 Walser-Skulptur Biel Von R\u00e4ubern und ihren Verschleppungen  Kleine Vorrede Vor kurzem habe ich im Rahmen einer Sommerakademie in Schrobenhausen ein Schreibseminar gegeben. Schrobenhausen gibt es wirklich, es ist eine Stadt in Bayern mit geschlossener Ringanlage um den alten Stadtkern. Der grosse Ethnopoet Hubert Fichte (er schrieb den unvollendet gebliebenen Romanzyklus \u201aDie … R\u00e4uberische Verschleppung<\/span> weiterlesen →<\/span><\/a><\/p>\n","protected":false},"author":1,"featured_media":0,"comment_status":"closed","ping_status":"closed","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":{"footnotes":""},"categories":[3],"tags":[],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/kretzen.info\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/621"}],"collection":[{"href":"https:\/\/kretzen.info\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/kretzen.info\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/kretzen.info\/wp-json\/wp\/v2\/users\/1"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/kretzen.info\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=621"}],"version-history":[{"count":6,"href":"https:\/\/kretzen.info\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/621\/revisions"}],"predecessor-version":[{"id":630,"href":"https:\/\/kretzen.info\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/621\/revisions\/630"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/kretzen.info\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=621"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/kretzen.info\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=621"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/kretzen.info\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=621"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}