Zu Max Ernst NAISSANCE D’UNE GALAXIE / BAZ 24.5.13

Lucy in the Sky with Diamonds, – die Beatles sagen, mit LSD hätte diese ihre Lucy nie was zu tun gehabt – doch wie auch immer, sie lag in jenen Jahren in der Luft, in der auch dieses Bild zu schweben scheint. Das Bild einer Sternennebelgeburt, mehr Raumschiff als Bild und wie jede Geburt und jedes Bild eine Art Fahrt ins Blaue. Kleiner Ausflug also, früher Morgen im Universum. Wir haben uns lautlos aufgemacht, treiben hoch über dem Horizont in engem Bildrahmen, an den Seiten zusammengestaucht, weiter nach oben mitten im Geburtskanal. All das geschah, als ein paar Menschen ihre Füsse auf den Mond stellten, und die Träume der Erde von ihrem Muttertrabanten abgenabelt wurden.

Da half dem Maler mit dem ausgeprägten Sinn für den feinen, schwebenden Geist aller Lucys dieser Welt nur eins: Einen neuen blauen Lichtkörper ins All zu schicken, durchwölkt, verschleiert, gefleckt. Ein Bruder der Erde, eine Schwester des Monds. Die Wiederkehr des geblendeten Zyklopenauges. Die rückgängig gemachte Odyssee. Odysseus kehrt zurück im von ihm geblendeten Auge des Zyklopen. Wird also jener listige Niemand zurückkehren und zu Jemandem werden? In diesem allseits durchlöcherten Königreich des Auges? Durch das kosmische Sternennebel treiben im abgelenkten Licht über dem grundlosen Grund der Materie, jenem blau-weissen Band an der unteren Bildkante, Fries, voll mit Gestalten ungewisser Art: Fischen, Echsen, Walen, tanzenden Indianern, Hohepriestern, Kämpfern in der Wüste, alle nur noch Schatten ihrer selbst, vor vielen Jahren explodiert und längst untergegangen.

Engel sind hier jedenfalls keine im Spiel, sie versagen in der Nähe magnetischer Felder, können ihre Flügel nicht mehr schliessen, verschwinden hinter dem Ereignishorizont der raumzeitlichen Bildgeburtswelt. Aber Lucy ist da. Mit ihren Kaleidoskopaugen, die sie sich zu diesem galaktischen Festmahl angelegt hat, so viele wie möglich, zusammengetrommelt aus allen Herren Ländern. Wie sie da hocken, aufgereiht in den Ringen der Spirale. Sehen wie die Male kleiner Zähne aus, wie Meerzahnschnecken, die um ein schwarzes Herz kreisen. Kann sein, dass das Herz ein Loch ist und bald wird alles, was wir sehen, darin verschwinden. Denn die dunklen Herzen der Milchstrasse ziehen nicht nur die Lucys mit der Sonne in den Augen an, sondern sie verbiegen förmlich die Raumzeit.

Wohin wir auch schauen, in diesem halb schwebenden, halb rotierenden Augenkörper schliesst sich nichts ab. Aussen und innen durchdringen sich, wie das Bild vor unseren Augen den Blick. Wir schauen aus einem durchbrochenen Diesseits in ein löchriges Jenseits. Was ist dahinter, was geht da vor? Ein Sturm tobt, schleudert Blitze ins Nebelmeer hinter den Punkten, setzt den Himmel unter Strom. Angetrieben vom Atem der Träume die Konturen wallender Wesen, Geister, Schatten, abgeirrter und abgetrennter Teile von uns, die wir auf den Mond geschossen haben, in den Weltraum. Die alten Argusaugen, von denen wir nichts mehr wissen wollten. Sie kehren alle wieder, sind geblieben, schauen uns an. Vergessen wir nicht, das Auge, mit dem wir schauen ist auch das, mit dem wir angeschaut werden. Und was wissen wir schon davon, was in uns vorgeht?

Je näher wir das Bild betrachten, umso ferner schaut es zurück. Als ob es sich vor unseren Augen in den vielen gerasterten Löchern dieser verschleierten Sternenschleuder verfangen hätte und zugleich und unversehens aus ihr hervorbrechen würde. Das ist die Geburt, die sich selbst erzeugt, leer von jedem Tun und Sinn. Nie wird es etwas nützen, dieses Bild anzurühren, es zu besetzen, es in Besitz zu nehmen in seinem allseitigen Strömen, im kosmischen Toben und Schwärmen von Licht und Dunkelheit. Mit seinen leuchtenden Lieblingen, farbigen Regungen hinter der grossen Schleuder in den Augen der Lucys unserer Welt.

Die vielen Löcher, die der Maler in die Haut aus Licht und Farbe gemalt hat, um zu sehen, was dahinter kommt, was hinter dem All steckt, wie hinter all dem, was wir Tag nennen, Nacht, Mond und Sterne, – kann es sein, dass sie uns das Unberührbare, Ferne, das, was uns entgeht, näher bringen? So nah, wie nur das Ferne sein kann und so vage, wie der klare Himmel über uns.

Friederike Kretzen 16. Mai 2013