Sprachtiere und andere

Ausschreibung Theoriepool SS 1999, HGKZ

Tiere sind unsere älteren Brüder, schreibt Herder. Und wohl auch unsere älteren Schwestern. Was aber machen wir mit dieser Verwandtschaft, und was macht diese Verwandtschaft mit uns? Canetti sagt, dass die Formen des Denkens und die Formen der Tiere miteinander verbunden sind. Und umgekehrt. Was bedeutet, dass die Verwandtschaft von Tieren und Menschen als eine des Denkens wahrgenommen werden kann. Sprache ist auch eine Form des Denkens. Womöglich stecken ganz viele Tiere in der Sprache. In Dichtung und Literatur jedenfalls wäre kein Auskommen ohne sie. Kann es also sein, dass Wörter Tiere sind? Oder Pfoten, Schnauzen, Zungen, Ohren von Tieren? Jedenfalls sind Wörter Körper oder Teile von Körpern und sie bewegen sich anders. Und was ist das? Der Wunsch, die Sprache der Tiere zu verstehen, begleitet uns und unsere Sprache seit jeher.
Ich möchte mit Ihnen gerne lesend und schreibend diesem Wunsch nachgehen, der vielleicht auch eine Art Tier ist.Simone Weil fasst ihn folgendermassen:“Jedes Wesen ist ein stummer Schrei danach, anders gelesen zu werden.“

Empfohlene Literatur: Märchen der Brüder Grimm
Elias Canetti, Die Provinz des Menschen
Aby Warburg, Schlangenritual