Räume von hier und da.

Sobald etwas eintritt, und sei es ein Stimmungsumschwung, ein Gedanke oder ein Textanfang, haben wir einen Raum, in den etwas eintritt und einen anderen Raum, von wo etwas kommt. Selbst wenn etwas aus dem Nichts hereinschneit oder vom Himmel fällt. Dann schneit es aus dem Nichts und fällt vom Himmel. Sollten wir das, von wo etwas herkommt, was dann hier reinschneit oder einfällt, als Aussenraum im Unterschied zu einem Innenraum bezeichnen wollen, so könnten wir auch sagen: Die Erde ist der Innenraum des Himmels. Oder das Nichts ist der Aussenraum der Erde. Was allerdings nichts an der Tatsache ändert, dass das Eingetretene, während es uns hier Gesellschaft leistet, nun woanders fehlt. Und wer weiss, ob sein Fehlen dort nicht beweint wird.

In Shakespears Hamlet heisst es in den Regieanweisungen zum Auftreten des Geists von Hamlets totem Vater: Enter the Ghost, Exit the Ghost, Re-Enter the Ghost. Was in diesen Formulierungen klar zur Sprache kommt, ist das Zusammenfallen des Eintretenden mit dem, woherein es tritt. So dass nicht nur der Geist eintritt, abtritt, wieder eintritt, sondern mit ihm tritt auch der Leser oder Zuschauer in den Geist ein. Nicht anders verhält es sich mit jeglichem Geschehen, das eintritt. In dem Moment, in dem es seinen Fuss über unsere Schwelle setzt, setzen auch wir unsere Füsse über seine. Der Moment seines Eintritts ist auch der Moment, in dem sich uns ein neuer Raum dadurch öffnet, dass sich ein bestehender Raum neu öffnet.

Mit solchen, im Grunde gar nicht komplizierten, Vorgängen kannte sich Gisela, eine Kriegsvertriebene aus Königsberg, gut aus. Sie arbeitete als Gemeindeschwester in Düsseldorf und fuhr im Sommer mit den Kindern in ein Ferienlandheim. Mittags sassen die Ferienkoloniekinder an langen Tischen und anstelle eines Mittagsgebets sagte sie zu ihnen: Wenn ihr alles aufesst, könnt ihr hinten sehen. Die Kinder glaubten ihr aufs Wort. Sie assen alles auf, mochte es noch so abscheulich schmecken. Und schon nach kurzer Zeit, sie waren leicht schläfrig geworden, spürten sie eintreten, was Gisela ihnen vorhergesagt hatte: Sie konnten hinten sehen. Sofort dachten die Kinder an das Märchen von der weissen Schlange, in dem einer, – er hat ein Stück von der weissen Schlange gegessen – die Sprache der Tiere verstehen kann. So ging es den Kindern, wenn ihnen in jenem Sommer hinten Augen gewachsen waren: Sie sahen, was nicht zu sehen war. Sie konnten Gedanken, Träume, Vorstellungen sehen; und zwar die von Räumen, Bäumen und Gegenständen. Seit dieser frühen Erfahrung ist für die Kinder die Jahreszeit des Sommers mit der Fähigkeit, hinten sehen zu können, verbunden. So dass sie anstelle von Sommer auch sagen könnten, die Zeit in der wir Gedanken sehen können.

Sobald wir etwas in Sprache fassen bzw. übersetzen, kommen wir aus den Räumen und auch aus dem Räumen nicht mehr raus. Wir sind immer darin und die Sprache ist schon da, in uns, durch uns, und wir sind die Sprache. Denn, hat jemals ein Mensch die Sprache gesehen? Ist sie jemals einem Menschen begegnet, auf offener Strasse sozusagen? Selbst die Kinder, die in jenem Sommer Gedanken und Träume von Bäumen und Räumen sehen konnten und es war ihnen, als verstünden sie deren Sprache, – gesehen haben sie diese Sprache nicht. In gewisser Weise gibt es die Sprache nicht, wir gehören ihr nur an, und zwar so, dass es kein ausserhalb der Sprache gibt. Was die Sprache unmöglich einen Raum sein lässt. Auch wenn Wörter nicht nur wie, sondern auch als Ahnungen, Taten und Geschichten eintreten können. Das ist eine Form ihres Wahrwerdens oder genauer gesagt: Eine Form ihres Wahrnehmens. Sie werden dann wahr, insofern ihr Eintreten stattfindet, an eine Stelle tritt, die zuvor wie nicht vorhanden schien. So dass sich vielleicht sagen liesse, dass jedes Herkommen nur halb ein von wo kommen ist, zur anderen Hälfte ist es ein noch ausstehendes, notwendig ausstehendes Wiederkommen.