Leverkusen als Herausforderung

Von Frank Weiffen, 27.04.09, 16:51h, aktualisiert 27.04.09, 18:00h

Die gebürtige Leverkusenerin Friederike Kretzen versteht es wie keine andere, ihre Heimatstadt „in Worte zu fassen“. Im Künstlerbunker las sie aus ihrem Werk vor – nicht immer einfach für den Zuhörer.

Leverkusen – Einfach macht sie es einem nicht. Aber Friederike Kretzen ist ja auch ein Kind dieser seltsamen Stadt, die nur schwer zu begreifen ist. Sie ist ein Kind Leverkusens, von dem sie sagt, es sei ein „zusammengeschustertes“ Gebilde. Und genauso zusammengeschustert hören sich die Texte der Autorin an, die mit 18 hier wegzog, die aber in ihren Büchern immer wieder von der Heimat erzählt. Wer Friederike Kretzen jetzt im Künstlerbunker beim Vorlesen aus dem eigenen Werk lauschte, der lauschte auch dem immer wieder stockenden Herzschlag dieser Stadt.

Kretzens Kindheitserinnerungen sind verpackt in Assoziationsketten aus abgehackten Wörtern und ellenlangen Sätzen. Wenn die Rede ist von Schülern, die rund ums Landrat-Lucas-Gymnasium in Grüppchen zusammenstehen, wenn Kretzen von Fernsehabenden im Kreise der Familie erzählt, wenn sie einen an Schauplätze wie die Altstadtstrasse oder das Vogelsfeldchen mitnimmt, dann meint man, dem Blick der Autorin zu folgen, der sich wie eine Kamera bewegt. Kretzen vermischt Wahrheit und Fiktion, wechselt stets zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Trotz der überaus klaren und bildlichen Sprache sind ihre Texte nicht „organisch“. Es sind wüste Collagen, in denen alles irgendwie zusammengehört, aber nicht alles zusammenpasst.

Die Lesung der 52-Jährigen war denn auch wie eine Rundfahrt durch Leverkusen: Man kommt von Stadtteil zu Stadtteil in ein und derselben Stadt – und merkt doch, dass davon jeder für sich steht. Die Stadtteile „kämpfen“ um Eigenständigkeit. Leverkusen kämpft darum, ein Ganzes zu sein. Und im Bunker kämpften die Leute darum, die Auszüge aus Kretzens Büchern wie „Indiander“ oder „Weisses Album“ in deren „grossem Ganzen“ zu verstehen.

Genau das machte diese „Lev liest“-Lesung unter dem Motto „Treffpunkt: Hollywood-Schaukel vor Bayer-Kaufhaus“ (Zitat aus einem Kretzen-Roman) zu einer guten Lesung: Es war keine Lesung wie viele, bei denen „vorgekaut“ wird, bei denen das Publikum leichte Texte in appetitlichen Häppchen serviert bekommt. Kretzens Gastspiel in der Heimat war eine Herausforderung. Mehr „Kunst-Performance“ als Vorlesestunde – abgerundet durch die experimentelle Gitarrenmusik Erhad Hirtes, der zwischen den Leseblöcken zerfetzte Melodien aus kreischenden und jaulenden Tönen „spielte“. All das erinnerte irgendwie ans Hören von Musikplatten: Gerade die Platten, an denen man sich reiben, die man sich erarbeiten muss, sind die besten.