Giacomettis Zimmer | Surrealismus in Paris, Expo Beyeler | 1.10.11 BAZ

Ist dies eine Zeichnung? Oder ein Plan zur Begehung des Unzugänglichen? Auf André Bretons Frage, was sein Atelier sei, soll Giacometti gesagt haben: Zwei kleine Füsse. Hier gehen sie. Rue Hippolyte Maindron, Weltraum. Von hier laufen Linien aus, hierher kehren sie zurück, kreuzen sich, bilden Flächen, empfindliche Häutchen, Schleier, Fetzen des grossen Segels. In ihrer Mitte wacht der Palast der Winde, Leuchtturm der Artisten. In seiner Takelage hängt eine unzulässige Mannschaft: ein Wurm, eine Sängerin, ein Trapezkünstler, und einer, in der obersten Kammer, übt den Aufflug. Es sind die Nachfahren von Hieronymus im Gehäuse, dessen Löwe liegt als Blitz getarnt auf dem Boden. Er wird niemanden hinauslassen.

Was hier geschieht ist etwas Massloses diflucan tablets online. Wir wissen nur nicht was. Steht nicht alles an seiner Stelle? Käfige, Bühnen, Leinwände, am Boden ein verformtes Skelett, das versucht sich aufzurichten, oder es ist das Gerüst einer Wolke, eine Stadt treibt in der Wüste, eine Waschschüssel, an der Wand lehnen ein kleines Boot und ein grosses, mit solchen kommen manchmal Engel angeflogen, eine Lilie in der Hand, um uns zu grüssen. In einem Käfig hängt ein Tier, über seinem Kopf ein kleines Doppelgestirn, in das es beissen kann, bevor die Wut es zerreisst. Die Eule auf dem Tisch, über der Sonne am Boden, wartet auf die Dämmerung. Zuoberst im Raum ein Gesicht von Zuhause mitgebracht, draussen eine Markise vor dem Fenster, einige Wände sind verhüllt. Wenn wir länger hinschauen, bemerken wir, hier geschieht eine Art Umschichtung, heimlicher und unheimlicher Wechsel von Plätzen. Objekte und Dinge im Raum lösen sich aus ihren gewohnten Formen, verlieren ihre Festigkeit und beginnen, sich als Geister zu regen, von denen wir nie wissen, wann sie erscheinen und wie lange sie bleiben werden. Und ist da niemand? Nobody? Wer wohnt hier?

Der, der zeichnet, ist nicht im Bild, er macht es. Im Schlaf, im Traum, im Wachen. Er arbeitet. Imaginiert, zersetzt, zeichnet weiter, wie es sich bewegt in seinem Zimmer, und wie es um ihn geschehen ist bei der Arbeit in der Nacht, angesichts des Palasts morgens um vier. Zwischen zwei Zeichnungen, zwischen Atelier vorne und Atelier hinten mit Bett und einem Stuhl, der gerade frisch angereist zu sein scheint, von der Decke hängt die Skulptur einer Frau mit durchschnittener Kehle. Dort, wo er sein Atelier in zwei Ansichten geteilt hat, muss er sitzen, der Zeichner, abgeschieden von der Welt des Sichtbaren, aufgehoben in seiner eigenen Schnittstelle von Raum und Raumlosigkeit.

Ja, dieses Bild ist kein Zimmer. Er, der seinen Wesen Raum gibt, lässt uns den wesentlichen Raum sehen. Was uns darin begegnet, ist ein Blick. Wie der der Liebe, wenn sie denn eine auf den ersten Blick ist. Hier begegnen wir ihr, wir sind die Ersten, unteilbar, ohne Anfang und ohne Ende. Und da das Neue oder das Erste nur die Erfindung des Anderen sein kann, so sehen wir hier die Erfindung jenes Anderen des Abwesenden.
Der hat sich aufgelöst, verflüchtigt im Raum, so dass jedes Teil seiner Zeichnung, mit jedem anderen Teil im Zimmer, – Wänden, Skulpturen, Blitzen und Schlangen – in eins geht, sich spiegelt, wiederholt, vervielfacht. Eine Art Tanz oder Abhebung findet hier statt, ein grosses Abschiednehmen von den Formen der Schwerkraft, wie sie bisher Dinge und Räume auf der Erde festgehalten haben.

Der Zeichner sieht, sieht, dass er nicht da ist, wo alles in Bewegung ist, jeden Moment bereit, die Erde zu verlassen Richtung Weltraum, Zeitlosigkeit, Namenlosigkeit. Bereit, sich loszulösen wie die Striche vom Blatt, die Linien von den Konturen, die sie ziehen.
Was sich also vor unseren Augen entfaltet, – oder nein, nichts faltet sich auf oder aus – was sich vor uns öffnet, ist der Raum eines Abwesenden, der grenzenlos geworden ist. Grenzenlos wie der Körper eines Toten, bei dem er wacht. Seitlich an der Wand hängt sein Mantel mit Knöpfen, Revers, das Futter quergestreift als Gitter, gleich neben dem Vorhang, dessen Saum über den Boden schlängelt, zu Füssen der Sphinx.
Und später einmal, wenn wir wieder da sind, werden wir sagen können, wir hätten lediglich geschaut.

Friederike Kretzen