Die Abessinischen Gesandten

Y-Projekt HKB Frühjahr 22

Zusammen mit Luke Wilkins

Was haben Künstler mit Räubern, Wegelagerern und Piraten gemeinsam? Sie alle sind bereit ihre Existenz aufs Spiel zu setzen um mit Hinterlist und widerständiger Energie zu neuen Ufern aufzubrechen. Was auf den ersten Blick unscheinbar wirkt, ist schon Teil ihrer Strategie. Wie beispielsweise die Sätze Ilse Aichingers, mit denen sie ihr Journal Unglaubwürdige Reisen beginnt: „Wenn einer eine Reise tut, so kann er nichts erzählen: Das fiel mir schon ziemlich früh auf.“ So beginnt sie wie nebenher von ihrem alltäglichen Wiener Kosmos ausgehend, zwischen Hochhaussiedlung, Kaffeehaus und Kino, ein Gespräch mit furchteinflößenden Gespenstern aus der Zeit ihrer Kindheit und Jugend im Krieg. Der Held in Abbas Kiarostamis Film The Traveller, ein iranischer Junge, bestiehlt nicht nur seine Mutter, sondern auch seine Klassenkameraden, die er vorgibt, fotographisch zu porträtieren: Mit einer defekten Kamera. Alles, um Geld für das Busticket zu haben, damit er in der Hauptstadt das Spiel seiner Lieblingsfußballmannschaft anschauen kann. Das er dann in einem Park neben dem Stadion verschläft, heimgesucht von Alpträumen, was ihn erwarten wird, wenn er wieder nach Hause zurückkehrt. Der Räuberhauptmann Robert Walser schreibt von einer grausamen Sprachmutter, die uns von allem was wir lieben abschneiden will, um aus uns Liebende zu machen. Oder die sechs Typen hier auf dem Foto: Was führen sie im Schild, sind es wirklich die abessinischen Gesandten, als die sie sich ausgeben? Sind es vielleicht Räuber, die sich als Reisende verkleidet haben? Oder ist es eine Wanderschauspieler-Truppe, die durch die Zeit reist, um eine die Geschichte aus den Angeln hebende Revolution anzuzetteln?

Anhand von Filmen, Performances und Texten wollen wir uns Methoden zur Anverwandlung von Welt anschauen und selbst erproben. Kommando-Zentrale wird das Literaturinstitut sein, von dem aus wir auch in die Stadt ausschwärmen werden, um die Cafés, Supermärkte und Parks unsicher zu machen. Luke Wilkins wird einen Soundwalk durch Biel anleiten und den Film Step Across the Border mit seinem ehemaligen Prof. Fred Frith zeigen. Link zu einem Ausschnitt davon: https://www.youtube.com/watch?v=Es21B30bD6c&list=PLnD90Pf4u0DlwfgcHqo48HtbfJtIOgqLH Zwischendurch wird Friederike Kretzen von ihrem zweiten Reiseromanprojekt erzählen, für das sie nach Japan, Afghanistan und Persien gereist ist. Auf der Suche nach dem ewig unzugänglichen Orient, den sich das Abendland erschaffen hat, um nie mehr zu sich zu kommen. 

Virginia Woolf, die sich zusammen mit ihrem Bruder und ihren Freunden auf einem englischen Kriegsschiff als Abessinische Gesandte ausgegeben hat.