Alle Beiträge von friederike

Der Rausch der Ferne

In ihrem neusten Roman «Bild vom Bild vom großen Mond» erzählt Friederike Kretzen vom Rausch des Reisens und Schreibens.

Von Lara Buchli, 16. Februar 2023

In Friederike Kretzens neuem Werk reist eine Ich-Erzählerin in die Ferne nach Persien, um aus den erlebten Begegnungen und Erlebnissen ein Buch zu schreiben. Der Untertitel kündigt dies bereits an: ein «Roman einer Reise» darf man erwarten, über knapp 300 Seiten hinweg erzählt. Nicht zum ersten Mal verarbeitet Kretzen das Reisen mit dem Schreiben in Form eines Romans. Bereits in ihrem letzten Buch, Schule der Indienfahrer (2017), setzte sie sich damit auseinander, wie eine Reise Menschen verändert und zu einer Lehre fürs Leben werden kann.

Aufgehoben in der Fremde

In Bild vom Bild vom grossen Mond bricht eine namenlose Ich-Erzählerin in Richtung Osten auf, bis sie in den Iran gelangt. Im Erzählen erinnert sie sich an frühere Reisen, an alte Bekanntschaften und an Indien. So vermischt sich im Imaginären der Erzählfigur das Vergangene mit der Gegenwart und Erinnerungen gehen fliessend über in erlebte und erdichtete Ereignisse.

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Die Abessinischen Gesandten

Y-Projekt HKB Frühjahr 22

Zusammen mit Luke Wilkins

Was haben Künstler mit Räubern, Wegelagerern und Piraten gemeinsam? Sie alle sind bereit ihre Existenz aufs Spiel zu setzen um mit Hinterlist und widerständiger Energie zu neuen Ufern aufzubrechen. Was auf den ersten Blick unscheinbar wirkt, ist schon Teil ihrer Strategie. Wie beispielsweise die Sätze Ilse Aichingers, mit denen sie ihr Journal Unglaubwürdige Reisen beginnt: „Wenn einer eine Reise tut, so kann er nichts erzählen: Das fiel mir schon ziemlich früh auf.“ So beginnt sie wie nebenher von ihrem alltäglichen Wiener Kosmos ausgehend, zwischen Hochhaussiedlung, Kaffeehaus und Kino, ein Gespräch mit furchteinflößenden Gespenstern aus der Zeit ihrer Kindheit und Jugend im Krieg. Der Held in Abbas Kiarostamis Film The Traveller, ein iranischer Junge, bestiehlt nicht nur seine Mutter, sondern auch seine Klassenkameraden, die er vorgibt, fotographisch zu porträtieren: Mit einer defekten Kamera. Alles, um Geld für das Busticket zu haben, damit er in der Hauptstadt das Spiel seiner Lieblingsfußballmannschaft anschauen kann. Das er dann in einem Park neben dem Stadion verschläft, heimgesucht von Alpträumen, was ihn erwarten wird, wenn er wieder nach Hause zurückkehrt. Der Räuberhauptmann Robert Walser schreibt von einer grausamen Sprachmutter, die uns von allem was wir lieben abschneiden will, um aus uns Liebende zu machen. Oder die sechs Typen hier auf dem Foto: Was führen sie im Schild, sind es wirklich die abessinischen Gesandten, als die sie sich ausgeben? Sind es vielleicht Räuber, die sich als Reisende verkleidet haben? Oder ist es eine Wanderschauspieler-Truppe, die durch die Zeit reist, um eine die Geschichte aus den Angeln hebende Revolution anzuzetteln?

Anhand von Filmen, Performances und Texten wollen wir uns Methoden zur Anverwandlung von Welt anschauen und selbst erproben. Kommando-Zentrale wird das Literaturinstitut sein, von dem aus wir auch in die Stadt ausschwärmen werden, um die Cafés, Supermärkte und Parks unsicher zu machen. Luke Wilkins wird einen Soundwalk durch Biel anleiten und den Film Step Across the Border mit seinem ehemaligen Prof. Fred Frith zeigen. Link zu einem Ausschnitt davon: https://www.youtube.com/watch?v=Es21B30bD6c&list=PLnD90Pf4u0DlwfgcHqo48HtbfJtIOgqLH Zwischendurch wird Friederike Kretzen von ihrem zweiten Reiseromanprojekt erzählen, für das sie nach Japan, Afghanistan und Persien gereist ist. Auf der Suche nach dem ewig unzugänglichen Orient, den sich das Abendland erschaffen hat, um nie mehr zu sich zu kommen. 

Virginia Woolf, die sich zusammen mit ihrem Bruder und ihren Freunden auf einem englischen Kriegsschiff als Abessinische Gesandte ausgegeben hat.

Schreibarbeit Herbst21 Literaturhaus Basel

«Schreibarbeit: Gespräche zu eigenen Texten mit Friederike Kretzen»

Freitag, 12.11./19.11./26.11./3.12./10.12.2021 jeweils 17-19 Uhr, Abschlusssitzung Samstag, 15.1.22, 10-19 Uhr

Sprache als umfassendes Medium unseres Denkens verbindet uns mit den Erfahrungen anderer Kulturen und Zeiten, stellt uns in Traditionszusammenhänge. Nicht nur wir denken in Sprache, wir werden auch von Sprache gedacht. Von der ersten Bewegung des Hinschreibens ist Schreiben eine Verdopplung dessen, was in uns spricht, denkt, sich äussert. Schreibend sind wir mehr als eins, treten in einen Raum, der uns etwas von dem zu lesen gibt, was wir in uns tragen. Diese Form der Schreibarbeit führt von der Frage: „Über was will ich schreiben?“ zur Frage: „Was schreibe ich?“ Ziel ist ein Wahrnehmen dessen, was das eigene Schreiben sein kann und nicht sein muss. Voraussetzung ist ein Interesse an den Möglichkeiten eigenen Schreibens. Textproben werden besprochen und auf ihre verborgenen und auch offensichtlichen Strategien hin befragt.InteressentInnen sind gebeten, bis 15.09.21 eine maximal 2 bis 3seitige Textprobe zu schicken an: : friederike@kretzen.info Kursleitung und Konzeption: Friederike Kretzen (Autorin) Kosten: CHF 250/200 (Mitglieder LiteraturBasel* und Studierende)  Anmeldundg: Literaturhaus Basel bis 3. Oktober 2021

Seminar Literaturinstitut Biel Herbst21

Vom Mond und der Utopie.

Vor sich hin Träumende werden im Französischen als être dans la lune bezeichnet. Im Englischen heissen Unzurechnungsfähige lunatics. Der Mond scheint im Spiel zu sein, wenn es um Zustände von Abwesenheit geht. Was vielleicht daran liegt, dass der Mond gewöhnlich in Hamburg gemacht wird, und zwar hundsmiserabel. Wie Gogol schreibt. Der kennt sich mit toten Seelen, mit dem Mond und vor allem mit dem Schreiben bestens aus. 

Gogols Mond kommt aus der Bewegung der Sprache, die es gibt, die hergestellt wird und in der wir ohne Anfang und Ende treiben. Es sei denn, wir fangen mit dem Mond an und stellen uns vor, er sei gemacht worden. Da hängt dann ein Wort und leuchtet hundsmiserabel. Was eine schöne Kunst ist.

Ähnlich verhält es sich mit der Utopie. Sie ist durch übermässigen Gebrauch schal geworden. Zu viel Hoffnung auf eine bessere Zukunft ist ihr zugemutet worden. Dabei lebt sie in Ländern ohne Raum, Geschichten ohne Chronologie, Inseln, die auf keiner Karte zu finden sind mitten unter uns. Also mit all dem, was unsere Träume bevölkert, unsere Phantasie, und was uns zu Herzen geht. 

Als Ort der Ortlosigkeit kommt sie von zwischen den Wörtern. Wie diese ist sie da und auch nicht. Was sie um so empfänglicher macht für all das, was anders zwischen allen Stühlen haust. 

Ich möchte Sie zu diesem Seminar als einem Raum für Utopien und andere Ortlosigkeiten einladen. Um nach Ideen für neue Texte Ausschau zu halten, und uns den Mond auszudenken, der darüber aufgehen könnte. In ihrem Tagebuch vom April 1925 schreibt Virginia Woolf von einem Buch, das es noch nicht einmal in Ansätzen gibt, und das sich um das bemüht „…was existiert, wenn wir nicht da sind.“ Das wurden dann „Die Wellen“.