Was ist wirklich?

Ausschreibung HGKKZ SS 05

Was ist wirklich und was wäre dessen Gegenteil? Schnell lassen wir uns hinreissen zu sagen, das ist doch gar nicht wirklich. Dem nicht Wirklichen haftet der Verdacht des Unwahren, des nicht Nachvollziehbaren an. Aber kann nicht auch das Gefühl von Unwirklichkeit wirklich sein, und was bedeutet das dann für das Gefühl? Oder gibt es zum Beispiel unwirkliche Wörter im Unterschied zu wirklichen? Ist der Schlaf unwirklich, sind es die Träume? Beides tun wir wirklich. Doch abermals, woher wissen wir das? Nur weil wir am Morgen aufwachen? Oft genug wissen wir dann gar nicht so recht, wo wir sind, geschweige denn, wo wir herkommen. Was wir als Wirklichkeit bezeichnen, in der wir uns bewegen, setzt sich aus den verschiedensten Weisen zusammen, uns unserer Existenz zu vergewissern. Am Morgen ist es manchmal der Kaffee, der einem sagt, ja, ich bin wirklich. Doch es gibt Zeiten, da hilft auch der nicht, und unser Zustand der Ungewissheit dauert bis zum Abend. Bis wir kurz vor dem Einschlafen durch eine Bewegung des Lichts, durch den Einfall einer Begebenheit, die wir vergessen hatten, plötzlich merken, ja, heute waren wir wirklich da. Ist also das Wirkliche etwas, das stets auf Neue sich konstituiert, zusammensetzt und bestimmt? Und was ist unser Anteil daran?
Ich möchte mit ihnen den ungewisseren, unwirklicheren Zuständen nicht nur des Traums und Schlafs, sondern auch denen des Denkens und Formulierens nachforschen. Sowohl im Lesen von Texten anderer, als auch im Schreiben eigener kleiner Texte bietet sich uns eine praktische Methode, zumindest deren Wirklichkeit zu befragen.

Empfohlene Literatur: Heinrich von Kleist, Sämtliche Erzählungen, hier vor allem: Die Marquise von O.
Christa Wolf: Kein Ort. Nirgends. Darmstadt, Neuwied, 1981